Rheinberg, natürlich niederrheinisch

GEGEN DAS VERGESSEN - WDR STARTET PROJEKT „STOLPERSTEINE NRW“

Rheinberg, 25.03.2022. Die Bilder des schrecklichen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine in diesen Tagen zeigen leider nur zu gut, dass Kriege heutzutage immer noch geführt werden – auch hier in Europa. Was man kaum zu glauben im Stande war, erschüttert uns alle zutiefst. Menschen, die um ihr Leben kämpfen – Menschen, die in Todesangst ihr Land verlassen und nicht wissen, ob sie ihre Lieben je wiedersehen, völlig verstörte Kinder, denen man noch gar nicht erklären kann, was genau da gerade in ihrem Zuhause passiert, müssen sich nun neue Existenzen aufbauen und Traumata überwinden lernen. Auch in Deutschland haben schon viele Ukrainer*innen eine erste sichere Anlaufstelle gefunden und die Hilfsbereitschaft in den Gaststädten und –gemeinden, den Flüchtlingen bei einem einigermaßen guten Start in ein neues Leben zu helfen, ist groß. Bei allem Leid ist dies auf jeden Fall ein Trost – stark sein für die Menschen, die sich im Moment so gar nicht stark fühlen und jede Unterstützung brauchen können.

 

Wenn man auf die Geschichte Deutschlands schaut, liegt auf den beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts – besonders auf dem 2. Weltkrieg – der Fokus. Der dunkelste Teil dieser Geschichte war die Vertreibung und Vernichtung von gut 6 Mio. Menschen, die einer „anderen Rasse“ angehörten – so wurde damals argumentiert. Man fühlte sich überlegen, war ein „besserer Mensch“ und meinte dadurch die Legitimation zu besitzen, die Menschen die „anders“ waren auszugrenzen, niederzumachen, zu vertreiben, zu quälen und letztendlich zu töten. Die Masse an Gräueltaten, die im Nachhinein erst richtig sichtbar wurde, lässt heute noch erschaudern und hinterlässt Scham, ein schlechtes Gewissen und Abscheu für all diejenigen, die die Taten damals ausführten – angeleitet von Menschen mit einer Ideologie, die menschenverachtender nicht sein konnte.

 

Doch was hat die Menschheit, was hat Deutschland danach gelernt? Wie wurde und wird mit diesem dunklen Stück Geschichte umgegangen? In Deutschland wurde nach dem 2. Weltkrieg eine völlig neue nationale Identität geschaffen. Diese neue Identität bezieht die Ereignisse des letzten Jahrhunderts voll mit ein und schafft es, einen Lerneffekt sichtbar zu machen. In den Schulen ist die Geschichte Deutschlands ein wichtiges Thema und der Unterrichtsstoff lässt nichts aus. Schulklassen besuchen ehemalige Konzentrationslager und bekommen dort vor Ort zusätzlich zu der im Unterricht erlernten Theorie ein Stück weit Praxisgefühl vermittelt. Wem stockt nicht der Atem, wenn man die Krematorien und die Gaskammern direkt vor Augen hat? Auch Zeitzeugen halten die Erinnerungen wach, wenn sie von ihrer Zeit und ihrem Überleben damals berichten – meist völlig alleine, weil die anderen Familienmitglieder dem Nationalsozialismus zum Opfer fielen.

 

Ein weiterer Baustein (im wahrsten Sinne des Wortes) gegen das Vergessen ist die Verlegung von sogenannten Stolpersteinen, einer Aktion die der Künstler Gunter Demnig ins Leben gerufen hat. Diese Stolpersteine erinnern an die Opfer der NS-Zeit, indem sie vor ihrem letzten selbstgewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing ins Trottoir eingelassen werden. Inzwischen liegen Stolpersteine in 1265 Kommunen Deutschlands und in einundzwanzig Ländern Europas.

 

'Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist', zitiert Gunter Demnig den Talmud. Mit den Steinen vor den Häusern wird die Erinnerung an die Menschen lebendig, die einst dort wohnten. Auf den Steinen steht geschrieben: HIER WOHNTE... Ein Stein. Ein Name. Ein Mensch.

 

Auch in Rheinberg sind Stolpersteine zu finden. Insgesamt 18 Stück erinnern u.a. an die Familien Silberberg, Friedemann, Rothschild, Jakubitz, Mathias, Schwarze und Cahn. Damit wird Geschichte lebendig. Es passierte nicht nur weit weg – es passierte hier – in Rheinberg – direkt vor der „Haustüre“. Wie wertvoll diese Erinnerungen sind, erkannte auch der Westdeutsche Rundfunk und rief das Projekt „Stolpersteine NRW – gegen das Vergessen“ nach dem Motto „Leben. Sehen, erleben, erinnern“ ins Leben. Mit einer App oder Zuhause über den Desktop-Browser sind damit die Lebensgeschichten der rund 15.000 Opfer allein in NRW digital zugänglich, denen ein Stolperstein gewidmet wurde. „Erlebte“ Geschichte schafft einen ganz eigenen, ganz persönlichen Eindruck, der so schnell nicht vergessen wird und noch mehr Verständnis für all die Menschen erzeugt, die in diesen Tagen auf Schutz durch uns angewiesen sind. Diese Hilfsbereitschaft werden sie nie vergessen.

 

Die App „Stolpersteine NRW“ kann im AppStore oder bei GooglePlay kostenlos heruntergeladen werden. Die Browser-Version ist über den Link https://stolpersteine.wdr.de/web/de/ erreichbar.

Stolpersteine NRW

Bild: WDR/Stadt Rheinberg